Kommunikator-Theorien: Theorien des Journalismus

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(Die zukünftige Bedeutung und Beobachtung von Online-Journalismus)
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=== Die zukünftige Bedeutung und Beobachtung von Online-Journalismus ===
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Die Bedingungen und Konsequenzen des '''Online-Journalismus''' stehen gegenwärtig im '''Mittelpunkt''' der '''empirischen Journalismusforschung'''.
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Nicht nur für die berufliche Praxis, auch für die Theoriebildung bedeutet der '''netzbasierte Journalismus''' eine enorme '''Herausforderung'''. Das Internet ermöglicht die massenhafte Distribution von Informationen, ohne im klassischen Sinn ein Massenmedium zu sein. Das Internet ermöglicht die Verknüpfung von Massen- und Individualkommunikation. Es findet eine Demokratisierung der Informationsdistribution statt. Individuelle Anbieter treten ab sofort mit kapitalstarken, professionalisierten Organisationen in Konkurrenz.
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Das Internet ermöglicht die bewusste Auswahl vielfältigster Informationen, setzt diese aber gleichzeitig voraus. Angesichts dieser Veränderungen erscheint eine '''schlichte Übertragung''' bisheriger '''Theoriebestände''' auf den Netz-Journalismus als '''wenig einleuchtend'''. Erst mit der Weiterführung der Journalismustheorie über die Denkfigur der „Massenmedien“ hinaus kann der netzbasierte Journalismus angemessener analysiert werden. (vgl. Quandt 2000)
===International vergleichende Journalistenforschung===
===International vergleichende Journalistenforschung===

Version vom 16:45, 13. Apr. 2006

„Theorien des Journalismus“ – Martin Löffelholz widmet diesem Teil der Medienkommunikationstheorien ein ganzes Buch und das ist durchaus angemessen angesichts der Fülle von Ansätze und praktischen Rezeptionsstudien, die die Journalismusforschung geprägt haben und bis heute prägen. Wir wollen hier einen ersten Überblick über beiden Hauptströmungen, dem Akteur- und dem Systemansatz aufzeigen, empfehlen aber für eine tiefergehende Beschäftigung, einfach der Literaturliste Journalismusforschung oder der Linkliste Journalismusforschung zu folgen. (Reers)


Inhaltsverzeichnis

Definition Journalismusforschung/ Journalismus

„Journalismusforschung versucht auf der Basis wissenschaftlicher Vorstellungen und mit Hilfe empirisch-analytischer Methoden die soziale Wirklichkeit des Journalismus zu beobachten und zu erforschen“, schreibt Johannes Raabe 2005 in der Einleitung zu seinem Buch über „Die Beobachtung journalistischer Akteure“. (vgl. Literaturliste Journalismusforschung)

Dies ist eine sehr moderne Sichtweise, aber das Phänomen Journalismus hat schon seit Beginn der Zeitungs- und Publizistikwissenschaften Forscher beschäftigt und sie durch seine Komplexität in viele verschiedene Richtungen gelenkt. So gilt Kaspar Stielers Erörterung „Zeitungs Lust und Nutz“ von 1695 als Beginn der Journalismusforschung. Hier wird erstmals die Bedeutung der Presse für das politische, gesellschaftliche und private Leben herausgestellt. (Raabe, 2005, 15)


Auch Heinrich von Kleist, Dramatiker des 19. Jh., beschäftigte sich mit dem Journalismus und schrieb: „Die Journalistik, überhaupt, ist die treuherzige und unverfängliche Kunst, das Volk von dem zu unterrichten, was in der Welt vorfällt.“ Diese doch sehr breite Definition erscheint heute mehr als überholt.

Und so definiert Hans-Jürgen Bucher 1998 im "Historischen Wörterbuch der Rhetorik" präziser: „Unter Journalismus versteht man zum einen die Gesamtheit der Tätigkeiten von Journalisten, also die Sammlung, Prüfung, Auswahl, Verarbeitung und Verbreitung von Nachrichten, Kommentaren sowie Unterhaltungsstoffen durch Massenmedien. […] Zum zweiten wird mit Journalismus im allgemeinen die öffentliche Berichterstattung in Presse, Hörfunk, Fernsehen und im Internet als eine gesellschaftliche Institution bezeichnet.“


Wie der Unterschied zwischen diesen beiden Definitionen deutlich zeigt, entwickelte sich der Journalismus, wie wir ihn heute kennen, vor allem dadurch, dass sich mit der Professionalisierung journalistischer Berufsrollen und dem Übergang zur großbetrieblichen Produktionsweise die Relevanz des bis dahin dominierenden, „schriftstellernden Journalismus“ (Baumert, 1928) - von dem Kleist klar ausgeht - reduzierte und der heutige, redaktionelle Journalismus - den Bucher beschreibt - entstand.

Die Journalismusforschung im Deutschen Sprachraum weist dagegen keine so lineare Entwicklung auf, sondern ist vielmehr multi-perspektivisch abgelaufen. Damit ergibt sich ein uneinheitliches Bild von einer Vielzahl verschiedener Theoriegebilden, die noch bis heute auf die Journalismusforschung wirken. Dabei sei aber angemerkt, dass Journalismustheorien klar von Theorien der Massenmedien abzugrenzen sind, weil Journalismus und journalistische Kommunikation auch ohne massen-mediale Vermittlung vorstellbar sind. (Reers)

Traditionen und Ansätze der Journalismusforschung

Als erste theoretische Beschreibung des Journalismus gilt die Monographie „Geschichte des deutschen Journalismus“ von Robert Eduard Prutz (1816-1872) aus dem Jahr 1845, in der erstmals der Journalismus, nicht die Publizistik oder Zeitungswissenschaft, im Mittelpunkt des Interesses stand.


Aber auch Dieter Paul Baumerts Abhandlung über „Die Entstehung des deutschen Journalismus“ von 1928 stellt einen wichtigen, frühen Versuch da, die historische Entwicklung des Berufs des Journalisten zumindest grob zu strukturieren. Im Rahmen der Professionalisierung des Journalismus und einer damit allmählich aufkommenden Arbeitsorganisation journalistischen Handelns, erfasste diese Studie erstmals dieses zentrale Klassifikationsmerkmal. (Raabe, 2005, 15)


Schon 1910 beschrieb dann Max Weber (1864-1920) in seiner „Enquete über das Zeitungswesen“ ein bis heute beispielhaftes, multiperspektivisches Forschungsprogramm. Er forderte eine sozialwissenschaftliche, empirisch-analytische, komparatistisch angelegte, quantitativ wie qualitativ vorgehende und im Multimethoden-Design konzipierte Untersuchungsanlage. Damit wollte er eine theoriegeleitete und empirisch-analytisch ausgerichtete Bestandsaufnahme der deutschen Presse, insbesondere der journalistischen Produktions- und Arbeitsbedingungen, erreichen.

Er vertritt damit die Prämisse, dass soziale Zusammenhänge nur durch die Beziehungen von Individuum und Gesellschaft erklärt werden können. Aus dieser Grundannahme Webers leiten sich die späteren Handlungstheorien ab, deren Kerngegenstände die handelnden Akteure, ihre Handlungen und deren Sinn sind.


Zwischen 1970 und 1990 lösten erfahrungswissenschaftliche Theorien, wie Weber sie bereits Jahre zuvor forderte, ihre akademischen Vorläufer in der Journalismusforschung ab. Die neuen Theorien beziehen sich auf empirisch erfassbare Objektbereiche und werden durch die Überprüfung dieser beeinflusst. Dabei haben sich im Verlauf der Geschichte zwei größere, vergleichsweise dauerhafte Traditionen herausgebildet, die sich seither gegenüberstehen: Eine personen- und eine systembezogene Forschung. Ihre jeweiligen Vorstellungen bilden zwei konkurrierende Paradigmen im Forschungsfeld, d.h. charakteristische Systeme von Anschauungen und Vorverständnissen innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. (Raabe, 2005, 18-19)

(Reers)

Akteur Ansatz Journalismusforschung

Die akteursorientierte Journalismusforschung konzentriert sich auf die Untersuchung der journalistischen Individuen. Ihre Fähigkeiten, Talente, Handlungen und Motivationen stehen im Vordergrund dieser Theoriefamilie. Systemische und organisatorische Begrenzungen oder Zwänge existieren nicht oder spielen zumindest nur eine untergeordnete Rolle. Die ersten Vertreter dieses individualistischen Konzepts gingen jedoch nicht empirisch vor, sondern beschrieben vielmehr das Berufs- und Lebensschicksal von renommierten Journalisten und Publizisten der 50er und 60er Jahre und zwar in Form von Biographien. Dies waren die ersten Beiträge zum Berufsbild des Journalisten, die auch noch vom eigenen Stand produziert wurden. (Raabe, 2005, 22) Damit entwarfen die frühen Theoretiker auf der Basis individueller Lebensläufe und einer insgesamt individualistischen Weltanschauung eine journalistische Begabungsideologie, die bei manchen Theoretikern gar so weit führte, Journalisten zu geistigen Führern zu erheben. (vgl Emil Dovifat (1890-1969))

(Reers)

Normativ-ontologischer Ansatz

Deutlich zeigt sich die Idee der Begabungsideologie im Werk des Zeitungswissenschaftlers Emil Dovifat (1890-1969), der seit 1928 in Berlin lehrte, eine zentral gesteuerte Propaganda gut hieß und im Nachkriegsdeutschland zu den Gründungsvätern der westdeutschen Publizistikwissenschaft gehörte. Seine ‚Gesinnungspublizistik’ bildete die Basis für einen personenbezogenen Journalismusbegriff. (Löffelholz, 2004, 41)

Emil Dovifat sah den Journalismus als eine Form der Publizistik an, unter der er „jede öffentlich bedingte und öffentlich geübte geistige Einwirkung auf die Öffentlichkeit, um diese ganz oder in Teilen durch freie Überzeugung oder kollektiven Zwang mit Gesinnungskräften über Wissen und Wollen im Tun und Handeln zu bestimmen“, verstand. (Dovifat, 1968, 5)

Dovifats Einfluss sowohl auf die journalistische Berufspraxis (Begabungsideologie) als auch auf die wissenschaftliche Theoriebildung (personenbezogener Journalismusbegriff) ist gleichwohl bis in die heutige Zeit nachweisbar. Wegen der isolierten Konzentration auf die Begabung und Gesinnung einzelner Journalisten blieben der empirische Ertrag und die theoretische Komplexität des ‚normativen Individualismus’ insgesamt jedoch gering. (Löffelholz, 2004, 41)

(Reers)

Kritik an diesem Ansatz

Gegen diese verengte Auffassung wandte sich die moderne Soziologie, die unter anderem von Max Weber beeinflusst wurde. Sie rückte von der deterministischen Funktion des Individuums ab und stellte die Wechselwirkungen zwischen Individuum und Gesellschaft in den Mittelpunkt der Analyse. Immerhin belegte Dovifat nicht die Quellen, auf Basis derer er sein Wissen äußerte. (Raabe, 2005, 27) Damit bot seine akademische Lehre viel Angriffsfläche.

Auch der Begründer der deutschen Soziologie, Ferdinand Tönnies (1855-1936) kritisierte die subjektivistischen, normativ-ontologischen Ansätze, für die Journalismus das Werk individueller Persönlichkeiten war, deren Eigenschaften wiederum dafür verantwortlich waren, was der Journalismus hervorbrachte. Gesellschaftliche und organisatorische Bezüge, wie Arbeitsteilung und redaktionelle Arbeitsprozesse, würden zwar registriert, aber letztlich immer auf das Tun einzelner Personen zurückgeführt.

Heute konkurrieren in der Soziologie unterschiedliche theoretische Ansätze miteinander, welche die Freiräume des Individuums im Verhältnis zur Gesellschaft als mehr oder minder groß beschreiben. (Reers)

Analytischer Empirismus

Die Einsicht, dass intersubjektive Überprüfbarkeit nötig ist, und der gleichzeitige Verzicht auf allgemeine normative Weltbilder führten dazu, dass sich die deutsche Publizistikwissenschaft in den 60er und 70er Jahren den empirisch-analytischen Sozialwissenschaften zuwand. So konzentrierte man sich zunehmend auf empirische Methoden (Empirismus), die noch heute ein zentrales Paradigma der Journalismusforschung darstellen. (Löffelholz, 2004, 41-42)

Der Erfolg des Konzepts beruht vor allem auf den Prämissen einer definierten Qualitätsnorm wie zum Beispiel „intersubjektive Überprüfbarkeit“ und der Konzentration auf empirische Prüfungen von Theorien mittlerer Reichweite und mittlerer Komplexität. So „blieben die Untersuchungen jener Zeit begrenzt auf die empirische Analyse sozialer Merkmale von Journalisten sowie sozialstruktureller Dimensionen des Journalistenberufs.“ (Raabe, 2005, 31)

Als Vorreiter dieser Richtung gilt der Amerikaner Kurt Lewin (1980-1947), der während des zweiten Weltkrieges das Einkaufsverhalten amerikanischer Hausfrauen sozialpsychologisch untersuchte und dabei den Gatekeeper- Ansatz entwickelte. (Löffelholz, 2004, 42)

Diesen hat David Manning White 1950 (Literaturliste Journalismusforschung) auf die Journalismusforschung übertragen und zitiert Lewin dabei mit folgender Aussage: „The traveling of a news item through certain communication channels was dependent on the fact that certain areas within the channels functioned as ‘gates’.” (vgl. Löffelholz, 2004, 42) Diese Tore würden entweder von unparteiischen Regeln oder von Torwächtern bewacht. Die Torwächter entscheiden dann, welche Nachricht rein gelassen wird und welche nicht. Um die Funktionsweise dieses Tors zu verstehen, muss man die Faktoren kennenlernen, die die Entscheidung der Gatekeeper bestimmen.

Mit dieser personenzentrierten Betrachtung reduzierte White seine Analyse freilich auf die Betrachtung der individuellen, von strukturellen Bedingungen scheinbar unabhängigen Auswahlentscheidungen des Gatekeepers, so dass trotz einer empirisch-analytischen Vorgehensweise die Studie einen methodologisch-individualistischen Ansatz verfolgte. Erst die empirisch begründete Einsicht, dass die Selektion von Nachrichten auf komplexeren Prozessen beruht, weitete den Blick (vgl. Löffelholz, 2004, 42/ Raabe, 2005, 34-35) und die verengte Perspektive des Individualjournalismus wurde nach und nach durch komplexere Gatekeeper-Konzepte ersetzt, die bald auch institutionelle und systemorientierte Elemente integrierten. Mit dieser zunehmend organisationsbezogenen Perspektive bereitete die Gatekeeper-Forschung „den Boden für eine im weitesten Sinn systemtheoretische Herangehensweise.“(Gesellschaftstheorien 1: Systemtheorie) (Löffelholz, 2004, 44)


Der Gatekeeper- Ansatz ist als ein Beispiel empirisch-analytischer Journalismusforschung anzusehen, denn bis in die 70er Jahre haben sich verschiedenste Ansätze mit einer enormen thematischen Vielfalt entwickelt. Andere bedeutende Ansätze sind die Lasswell Formel (Who says what in which channel to whom with what effect, 1948), das Sender-Empfänger-Modell von Claude Shannon und Warren Weaver von 1949 und das Feld-Modell, mit dem Gerhard Maletzke 1963 die Modellvorstellung vom Kommunikator als „Faktor“ im Prozess der institutionalisierten Massenkommunikation entwickelte. (Raabe, 2005, 32-33) Zu den untersuchten Themenfeldern gehörten berufliche Einstellungen und Bewusstseinsstrukturen von Journalisten, Professionalisierung und Sozialisation in Medienbetrieben, redaktionelle Organisationsstrukturen und Arbeitsbedingungen, die Folgen der Einführung neuer Technologien oder die Berufssituation von Frauen im Journalismus. (Reers)

Legitimistischer Empirismus

Eine weitere Form der empirischen Journalismusforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie journalistische Berufseinstellungen legitimiert sind, also "ob diejenigen, die den größten Einfluß auf die Inhalte der Massenkommunikation ausüben, mit dieser Macht so umgehen, daß der Gemeinschaft daraus kein Schaden erwächst." (Donsbach, 1982, 10) Der legitimistische Empirismus stellt damit einen Teil der Medienwirkungsforschung (Rezeptionstheorien) dar.

Begründet wurde diese Disziplin in Deutschland von der so genannten Mainzer Schule, einer Forschungstradition, die durch drei Merkmale gekennzeichnet ist:

  1. Konzentration auf gesellschaftliche Konflikte,
  2. kritische Distanz zu den Machtgruppen, was auch die Medien einschließt, und
  3. Verwendung quantitativer Forschungsansätze.

Bis Ende der 70er Jahre hatten sich die entsprechenden Fachvertreter vor allem mit dem Publikum (Elisabeth Noelle-Neumann) und den Medienaussagen (Hans Mathias Kepplinger) befasst.

Weiter wurden, um die Leitfrage des legitimistischen Empirismus zu beantworten, kommunikationspolitische Normen, insbesondere die verfassungsrechtliche Stellung der Medien, mit Befunden der empirisch-analytischen Journalismusforschung konfrontiert. Das heißt, Aussagen über das journalistische Selbstverständnis, die politischen Präferenzen von Journalisten und ihren Motiven, die sie mit ihrem Beruf verbinden, werden verbunden mit Aussagen über den Umgang mit Kollegen sowie den Vorstellungen, die Journalisten vom Publikum besitzen. Eine Analyse dieser Merkmale und Einstellungen wird deshalb als wichtig erachtet, weil angenommen wird, dass sie handlungsrelevant sind, also Konsequenzen für die journalistischen Produkte und damit das Publikum haben.

Dem Legitimistischen Empirismus der Mainzer Schule (Kepplinger und Donsbach) steht der Funktionalistische Empirismus gegenüber (Rühl und Weischenberg). Ihre Unterschiede offenbaren sich besonders bei der Frage, welches Selbstverständnis Journalisten besitzen und wie handlungsrelevant dieses ist. (Löffelholz, 2004, 45)


In den letzten Jahren hat sich die akteursorientierte Journalismusforschung mit einer Vielzahl von Themen beschäftigt: Berufsmotivation und Ausbildung, Qualifikationsanforderungen und Kompetenzen, berufliche Sozialisation und Professionalisierung, sozialer Status und Berufszufriedenheit, intramediäre und intermediäre Mobilität, berufsrelevante Einstellungen und journalistische Ethik, politische Einstellungen und Publikumsbilder, Abhängigkeiten und Entscheidungsprozesse, Rollenselbstverständnis und dessen Handlungsrelevanz usw.

Empirische Erhebungen dieser Art spielen nach wie vor eine große Rolle in der aktuellen Journalismusforschung, jedoch nur als ein Teil einer makroperspektivischen Untersuchung. Es geht „dieser Forschung nicht so sehr um die Erkenntnisse über spezifische Merkmale solcher Medieninhalte selbst, sondern dahinter liegend um mögliche Folgen, die sich durch Charakteristika journalistischer Wirklichkeitsbeschreibungen für Meinung und Einstellung des Publikums und der Öffentlichkeit (Theorien der Öffentlichkeit) ergeben.“ (Raabe, 2005, 38-39)

(Reers)

System Ansatz Journalismusforschung

Seit den 70er Jahren entwickelte sich eine theoretische, methodische wie auch thematische Vielfalt innerhalb der Journalismusforschung. Statt eines Ein-Personen-Paradigmas, das bis dato vorherrschte, wurde ein Sozialsystem als Theoriekonzept vorgeschlagen. Das System/Umwelt Paradigma von Niklas Luhmann wurde als Ordnungsprinzip einer allgemeinen Journalismustheorie übernommen.

Innerhalb dieser Theorierichtung entwickelt sich ein Diskurs über die innere Ordnung des Systems Journalismus. Es gibt verschiedene Ansichten darüber, ob der Journalismus selbst als gesellschaftliches Funktionssystem verstanden werden kann oder ob er als Leistungssystem innerhalb eines Funktionssystem wie Öffentlichkeit, Publizistik oder Massenmedien operiert. Divergente Auffassungen gibt es dementsprechend in Bezug auf die Strukturen, welche die innere Ordnung des Systems ausmachen, sowie in Bezug auf die Funktion, die dem Journalismus zugeschrieben wird.

(Behrens)

Journalismus als Funktionssystem

Manfred Rühl, bedeutender Kommunikationswissenschaftler hat die Entwicklung der Journalismusforschung nachhaltig geprägt. Mit seiner Fallstudie 1969 „Die Zeitungsredaktion als organisiertes soziales System“, leitete er eine theoretische Neuorientierung ein. Er schaffte den Sprung von einer Vermutungs- und Behauptungswissenschaft, was der Mainzer Schule noch nachgesagt worden war, hin zu einer Beschreibungs- und Erklärungswissenschaft. Eine echte Alternative zur normativen individualistischen Tradition.


"Redaktionelles Handeln als Herstellen von Zeitungen in einem industriell hochentwickelten Gesellschaftssystem erfolgt nicht nur durch einige Nachrichten sammelnde, redigierende und schreibende Redakteure, sondern vollzieht sich vielmehr als durchrationalisierter Produktionsprozeß in einer nicht minder rationalisierten und differenzierten Organisation." (Rühl 1969: 13)


Für ihn stellte der Journalismus ein gesellschaftliches Funktionssystem dar. Die journalismusspezifische Funktion liegt in der „Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation“. (Rühl 1980: 323) Von zentraler Bedeutung waren die Annahme einer journalismusinternen Herausbildung und Differenzierung von Entscheidungsstrukturen, sowie die gesellschaftliche Einbettung des Journalismus, der stets abhängig von einem soziohistorisch zu bestimmenden Gesellschaftssystem sei.

Er sagt selbst, es sei ein Versuch Journalismus in seinem Wechselverhältnis zwischen Gesellschaft und deren Wandel, aber in der Abstraktion der „Unpersönlichkeit“ zu konzipieren. Journalismus soll als erhaltens- und förderungswürdiges gesellschaftliches Teilsystem erkennbar gemacht werden.


Individuelle Merkmale journalistischer Akteure besitzen keine besondere Relevanz für die Beschreibung journalistischem Handeln. Der Journalismus ist ein Handlungssystem, in dem Journalisten als Träger dieser Handlungen involviert sind. Der Akteur aber selbst nicht als ganze Person zum Bestandteil des Systems wird. "Die Person als Paradigma ist ein viel zu komplexer und viel zu unelastischer Begriff, um als Bezugseinheit für Journalismus dienen zu können. Dafür wird der Begriff des Sozialsystems vorgeschlagen, der es zuläßt, zwischen Journalismus und seinen Umwelten zu unterscheiden." (Rühl 1980: 436)

Die Arbeit ist in einem Redaktionssystem organisiert, das auch als Leistungssystem verstanden werden kann. Es sichert den Fortbestand des Journalismus in einer vielfältigen Umwelt dadurch, dass es die Komplexität und Veränderlichkeit dieser Umwelt reduziert. Es findet eine systematische Informationsselektion statt. Entscheidungsstrukturen bilden sich heraus. Für systeminterne Handlungen in der Redaktionsarbeit bestehen generalisierte Verhaltenserwartungen. Durch das Einhalten dieser Regeln stabilisieren die Handlungen das System. (Löffelholz 2004)


Manfred Rühls Theorieansatz wird als Basis betrachtet, diskutiert und fortan weiterentwickelt. Seine Überlegungen zur Redaktion als soziales System differenzierte und erweiterte er selbst in einer Reihe von weiteren Publikationen; insbesondere in seiner Habilitationsschrift „Journalismus und Gesellschaft“ von 1980.

Die Trennung von Journalisten als Personen vom Journalismus als Sozialsystem versprach eine Überwindung der simplifizierenden Vorstellungen aus der Frühzeit der Journalismusforschung sowie den Anschluss an die gesellschaftstheoretische Debatte, ohne den Anspruch auf eine empirische Prüfung der Theorie aufgeben zu müssen.

(Behrens)

Journalismus als Leistungssystem der Öffentlichkeit

Niklas Luhmann begreift den Journalismus unter anderem als Leistungssystem der Öffentlichkeit. Alle Systeme einer funktional differenzierten Gesellschaft können sich mit Hilfe des Journalismus selbst beobachten und somit weiterentwickeln. Dies geschieht auf Basis von Realitätstests. Gesellschaftliche Subsysteme wie Politik, Wirtschaft, Sport oder Kunst können dadurch ihre Operationen an die sich verändernde Umwelt anpassen. Der Journalismus selektiert, bearbeitet und publiziert Themen, die zielgruppenspezifisch, informativ und relevant gelten. Dies geschieht im Rahmen von speziellen Organisationen (Reaktionen), Handlungsprogrammen (Regeln journalistischer Recherche) und unter redaktioneller Rollendifferenzierung (Ressorts). Die Kernidee dieser Theorie liegt in der Selbsterzeugung der Identität. Der so genannten Autopoiese. Die Komponenten des Systems erzeugen sich aus ihren eigenen Operationen. Auch die Beobachtung der Umwelt wird als Eigenleistung des Systems verstanden. das System verfügt demnach über eine kognitive Offenheit.

(Behrens)


Kritik an den systemischen Ansätzen

Die systemischen Ansätze müssen sich die Kritik gefallen lassen sehr komplex und nicht in letzter Konsequenz einig zu sein. Der Systembegriff wird leider nicht einheitlich verwendet. Was die Vertreter des legitimistischen Empirismus überschätzen, wird von den Funktionalisten zu stark vernachlässigt. Die Relevanz und der Einfluss der Subjekte werden unterschätzt. Darüber hinaus werden die Verschränkungen zwischen medienspezifischen und journalistischen Prozeduren ausgeblendet. Die Einflussnahme von etwa ökonomischen Gegebenheiten bleibt unberücksichtigt.

Niklas Luhmann versucht mit seiner funktionalistischen Systemtheorie alle sozialen Phänomene mit Hilfe einer Theorie zu beschreiben. Dies bietet den Vorteil, dass sehr unterschiedliche soziale Phänomene innerhalb eines theoretischen Ansatzes erfasst werden können. Gleichzeitig führt dieser hohe Anspruch jedoch zu einem extremen Abstraktionsniveau, das sowohl den Zugang zur Theorie als auch theoriegeleitete empirische Untersuchungen deutlich erschwert. (Kommunikatorforschung Lernmodul 2: Warum ist es schwierig Journalismus zu identifizieren?)

Dies widerfährt auch der Journalismusforschung beim funktionalistischen Empirismus. Hauptsächlich wurden Befragungen, Beobachtungen und Inhaltsanalysen zur Erforschung eingesetzt. Seltener Experimente. Viele Befunde waren leider so speziell, dass sie nicht verallgemeinerbar waren.

Dennoch muss man bedenken, dass einem komplexen, modernen Journalismus nur eine komplexe dynamische Theorie gerecht wird, die sich selbst fortan weiterentwickelt.

(Behrens)

Integrative Theorien

Angesichts der Kritik an den funktionalistischen Systemtheorien intensivierte sich in den Neunziger Jahren die Suche nach integrativen Sozialtheorien. Keine dieser Ansätze vermag zwar allen Ansprüchen an eine elaborierte Theorie zur Beschreibung des Journalismus genügen. Dennoch handelt es sich zumindest um Theoriearchitekturen hoher Komplexität.

Christoph Neuberger überträgt das Konzept der Akteur-Struktur-Dynamiken des Soziologen Uwe Schimank, in dem Akteur-, Institutionen- und Systemtheorie verbunden werden, auf die Journalismusforschung. Journalistische Organisationen - wie beispielsweise Redaktionen - können danach sowohl als Institutionenkomplexe als auch als kollektiv handelnde Akteure analysiert werden. Interaktionen werden dabei nicht allein aus strukturellen Imperativen abgeleitet, sondern können zu einer eigenständigen Strukturgenerierung führen.

(Kommunikatorforschung Lernmodul 2: Warum ist es schwierig Journalismus zu identifizieren?)

Eine interessante integrative Perspektive verfolgt auch der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg.

Als heuristisches Ordnungsschema journalismusbezogener Forschungsgegenstände gilt das "Zwiebel-Modell" von Siegfried Weischenberg, das er 1992 entwarf. Dieses Modell avancierte mit der Zeit zu einem Modell zur systematischen Erfassung von Faktoren, welche ein Journalismus System konstituiert. Die Metapher der „Zwiebel“ dient zur Beschreibung der vielfältigen Dimensionen.

Ausgang für dieses Modell war der Versuch die Dichotomie von System, Subjekt, Struktur und Handlung zu überwinden und die Theoriekonzepte von System und Individuum zu verbinden.

Die hierarchische Schichtung umfasst einen Normenkontext (Das Mediensystem), einen Strukturenkontext (Die Medieninstitutionen), einen Funktionskontext (Die Medienaussagen) und einen Rollenkontext (Die Medienakteure). All diese Dimensionen konstituieren und beeinflussen das Journalismus-System, indem sie miteinander agieren und gegenseitig aufeinander Einfluss nehmen. "Normen, Strukturen, Funktionen und Rollen bestimmen in einem Mediensystem, was Journalismus ist, der dann nach diesen Bedingungen und Regeln Wirklichkeitsentwürfe liefert. […] Die Kontexte lasen sich modelhaft als Kreisformation um die Journalisten als Akteure der aktuellen Medienkommunikation darstellen." (Weischenberg 1992: 67)

Kritik des Zwiebelmodells:

Die durch die Kreise angedeutete Hierarchie der Kontexte ist fraglich. Deshalb werden in weiteren Diskussionen um dieses Modell die Kreise nebeneinander gestellt und ein Bezug ihrer Inhalte zur prägenden Umwelt dargestellt. Somit werden sowohl die Interaktion der einzelnen Ebenen wie auch deren Interdependenzen deutlich.

"So nützlich die in dem Modell zusammengefassten Ordnungsprinzipien sind, so offenkundig sind freilich die theoretischen Brüche, wenn ein Anschluss an die konstruktivistische Systemtheorie angestrebt wird. Dass ein Modell, welches auf einflusstheoretischen Prämissen basiert, kompatibel zu einem Ansatz sein soll, der von der operationalen Geschlossenheit sozialer Systeme ausgeht (Scholl/Weischenberg 1998: 47ff.), erschließt sich nicht unmittelbar." (Löffelholz 2004)

Dennoch bildet es eine gute Grundlage eine integrative Theorie auf weiterzuentwickeln und zu diskutieren.

(Behrens)

Komplementär Theorie nach Uwe Schimank

Der Hagener Soziologe Uwe Schimank versucht nicht die beiden Sichtweisen voneinander abzugrenzen, sondern gezielt miteinander zu verbinden. Er verfolgt eine komplementäre Sichtweise, in der beide Theoriebündel eine Rolle spielen. Mikro-, Meso- und Makroebene stehen in einem Verbund. Akteurs- und systemtheoretische Betrachtungen stehen nicht in Konkurrenz zueinander.

Er erkennt drei Strukturebenen, auf denen man die Gesellschaft beobachten kann. Die oberste Ebene sind die teilsystemischen Orientierungshorizonte. Diese reduzieren die Komplexität und geben eine systemspezifische Handlungslogik vor. Sie sind für das „Wollen“ der Akteure ausschlaggebend. Als Orientierung für den Journalisten dient hier ein binärer Code (Aktualität/Nicht-Aktualität). Dieser Code steuert zudem die Erwartungshaltung der Rezipienten. Die Strukturdimension der teilsystemischen Orientierungshorizonte verändert sich seltener und weniger schnell als institutionelle Ordnungen.

Die mittlere Ebene sind die Institutionen, die das „Sollen“ vorgeben. Auf dieser Ebene verfestigt sich die journalistische Handlungsweise (das „Wollen“), die zum einen durch berufliche Institutionen sowie zum anderen durch die Arbeitsorganisation konstituiert wird. Auf dieser Ebene befinden sich normative Orientierungen wie z.B. Rechtsnormen und Sitten. Auf der untersten Ebene befinden sich die Ressourcen, die dem Akteur das „Können“ ermöglichen. Diese Ressourcennutzung hilft dem Akteur Qualität zu liefern. Durch eine reflexive Beobachtung ergeben sich Informationen darüber, was von anderen Akteuren zu erwarten ist und wie man sie gegebenenfalls beeinflussen kann. Darüber hinaus ist es möglich, dass der Akteur die Auswirkung einer bestimmten Handlung aufgrund seiner Beobachtung vorhersehen kann.

Christoph Neuberger ist sich sicher, dass die Umsetzung der Theorie von Schimank großes Potential hat anschlussfähig für andere Theorien zu sein.

(Behrens)

Ausblick auf zukünftige Journalismusforschung

Allgemein

Die Journalistik präsentiert sich heute als ein pluralistisches, differenziertes und dynamisches Forschungsgebiet innerhalb der Kommunikationswissenschaft. Gerade die Vielfalt und Heterogenität der theoretischen Ansätze, die im Zuge des Relevanzgewinns der Kommunikatorforschung entstanden sind, erschweren freilich ihre Systematisierung. Heute konkurrieren normative mit empirisch-analytischen Zugängen, realistische (ontologische) mit konstruktivistischen Beschreibungen, individualistische mit system-orientierten Modellen. Erhöht wird die Komplexität durch den Relevanzgewinn kultur- versus sozialbezogener Annäherungen sowie neue integrative Sozialtheorien. Die theoretische Basis der Journalistik wurde zunehmend entgrenzt im Sinne einer diskontinuierlichen Herausbildung einer Multiperspektive. Erkenntnisfortschritte beruhen also weniger auf der Substitution veralteter Theorien, sondern primär auf Komplexitätsgewinnen durch die Entstehung neuer und die Modifikation älterer Theorien. (Kommunikatorforschung Lernmodul 2: Warum ist es schwierig Journalismus zu identifizieren?)

Der Journalismus hat die primäre Verantwortung für die Beobachtung der Gesellschaft. Er klärt nicht nur auf, sondern beobachtet generell im Rahmen spezieller Organisationen (Medien, Redaktionen etc.) mit bestimmten Handlungsformen (Recherche, Selektion, Darstellungsformen).

Die Emergenz wissenschaftlicher Theorie zum Journalismus stellt sich eher als diskontinuierliche Herausbildung einer Multiperspektive dar. Bei der Entwicklung eines neuen Paradigmas zeigt sich, dass die ältere Theorie nicht verschwindet. Sie bleibt als Alternative erhalten. Die Paradigmengeschichte zur Journalismusforschung ist kein lineares Systemmodell. Es handelt sich eher um Bausteine von Theoriegebäuden. Sie verfolgen unterschiedliche Prämissen und beschreiten unterschiedliche Zugangswege und ermöglichen somit mannigfache Ausblicke.

Der Journalismus kann als Sozialsystem verstanden werden, das seine Leistungen und Strukturen prüft und an seine Umwelt anpasst. Insgesamt ist der Journalismus mehr auf Stabilität als auf Variation ausgerichtet. Es werden bewährte und akzeptierte Strukturen zur Herstellung aktueller Medienaussagen routinisiert und tradiert als innovative Programme, Prozesse und Rollen erprobt. Daher ist es auch verständlich, wenn nicht sofort neue vorhandene Medientechnologien im Journalismus implementiert werden. Luhmann ist der Meinung, dass sowohl Tradition, als auch Innovation, Evolution ermöglichen und das „Überleben“ des Systems sichert. Evolution ermöglicht dem Journalismus Bestandsicherung, ohne jedoch zwangsläufig eine höhere Fähigkeit zur Selbststeuerung und eine günstigere Umweltanpassung zu gewährleisten. Es ist keine Voraussetzung für eine Höherentwicklung.

Die derzeitigen Befunde und Erkenntnisse zur Journalismusforschung zeigen eindeutig, dass sich in Zukunft keine Supertheorie erzeugen lässt. Dafür sind die Herangehensweisen an das Thema Journalismus zu vielseitig und streben auch nach unterschiedlichen Ergebnissen. Dabei gilt es, Ansätze mit Integrationspotenzial weiterzuentwickeln und sozial-theoretisch abgeleitete Ansätze stärker für die empirische Forschung zu operationalisieren.

Strukturen

Strukturwandel ist ein Merkmal von Systemen. Durch die Veränderung von Strukturelementen stellen sich soziale System auf ihre Umwelt ein. Die Fähigkeit zur Strukturveränderung wird als strukturelle Kopplung beschreiben. Strukturen bilden ein Selektionsschema und festigen eine Identität des Systems. Mit dem Begriff „Evolution“ werden dagegen radikale Strukturveränderungen bezeichnen, die die Identität eines sozialen Systems verändern.

Eine Strukturanalyse gibt Aufschluss über Rollen, Programme und Organisationen. Strukturen zu analysieren bedeutet zu erfahren, wie sich die jetzige Funktion und Form des Journalismus im Zuge von gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen herausgebildet hat. Weiterhin kann man an der Veränderung der Strukturen erkennen, welche Entwicklung Journalismus nehmen wird. Eine Strukturanalyse ist ein wissenschaftlicher Weg, komplexe Erscheinungen handhabbar und untersuchbarer zu machen. Dabei kann man von einem System Journalismus ausgehen, das durch folgendes gekennzeichnet ist:

• eine spezifische Funktion

• einen binären Code

• spezifische Rollen

• spezifische Programme

evtl. Reflexionseinrichtung'


So ist die Entstehung und Entwicklung des modernen Journalismus als Prozess der Differenzierung der journalistischen Strukturelemente beschreibbar. Die Geschichte des Journalismus und journalistischer Wandel stellen sich dann nicht primär dar als Geschichte von Massenmedien, sondern als Prozess, der sowohl die Massenmedien und Redaktionen als Organisationen, als auch die Journalisten als Rolleninhaber und die Formen der Darstellung und Selektionen erfasst. Die Strukturebene eines Systems ist offen für Umwelteinflüsse. Auf dieser Ebene kann sich das System ändern, es ist lernfähig. (Lernmodul 3: Strukturen)

Der Journalismus unterliegt vielfältigen Strukturbedingungen. Darunter juristischen und politischen Normen, die in Deutschland vor allem im Grundgesetz und in den Landespress- bzw. Landesmediengesetzen beschrieben werden.

Journalistisches Handeln erfolgt demnach innerhalb verschiedener Strukturebenen und wird von technologischen, organisatorischen und ökonomischen Imperativen sowie externen Einflüssen geprägt. Heute werden zur Beschreibung der Bedingungen, Strukturen und Prozesse journalistischer Arbeit primär Systemmodelle eingesetzt.

Intern differenziert sich der Journalismus danach über Normen, Organisationen, Handlungsprogramme und Arbeitsrollen aus, die einem permanenten Anpassungsprozess unterworfen sind.

Auf der Ebene journalistischer Programme zeige sich der Strukturwandel in einer stärkeren Vermischung informations- und unterhaltungsorientierter Darstellungsformen. Rollenbezogen stehe neben dem klassischen Redakteur, der recherchiert, redigiert und schreibt, immer häufiger ein marketinggeschulter Manager, der einen hohen Anteil von Planungs- und Koordinationsarbeiten zu bewältigen habe.

Ökonomische Strukturen:

Das Zusammenspiel von Journalismus und Medienunternehmen ist empirisch bislang nicht hinreichend geklärt. Klar ist, dass ökonomische Aspekte - wie Medienwettbewerb, Medienkonzentration, erwerbswirtschaftliche Ausrichtung der meisten Medienorganisationen sowie ihre Abhängigkeit von der Werbung als wichtigster Finanzierungsquelle – die journalistische Arbeit und ihre Strukturen nachhaltig prägen. Grundsätzlich diskutiert wird in diesem Kontext beispielsweise, ob Outsourcing, Redaktionsmanagement, veränderte Themenauswahl, neue Präsentationsformen und die professionelle Vermarktung journalistischer Produkte Vorboten einer weiteren ökonomischen Kolonialisierung des Journalismus sind, journalistische Produkte also nur noch als Wirtschaftsgüter begriffen werden, deren Produktion ausschließlich ökonomischer Rationalität folgt.

Dies ist eine düstere Vorstellung, falls der Journalismus nur noch als Laufbursche des Systems Wirtschaft verkommt und ihm zwanghaft hörig ist. Dies würde bedeuten, dass das System Journalismus aus den Fugen gerät und ein anderes System von ihm Besitz ergreift bzw. in es eindringt. In diesem Fall, die Wirtschaft. Doch auch dieser Aspekt muss gezielt beobachtet und hinterfragt werden. Die Strukturen müssen sich so anpassen und gefestigt werden, dass die eigene Funktion innerhalb der Gesellschaft erhalten bleibt.

Ethische Strukturen:

Angelehnt an funktionalistische Systemtheorien können ethische Prinzipien ebenfalls als Strukturen des Journalismus verstanden werden. Solche normativen Strukturen sind beispielsweise als Publizistische Grundsätze des Deutschen Presserates institutionalisiert. In der Journalistik wie im Journalismus geraten ethische Prinzipien immer dann in den Fokus, wenn wieder einmal ein Skandal oder eine Krise entdeckt werden. Der Journalismus muss die Fähigkeit zur Selbstreflexion haben, um eine Veränderung seiner Handlungsmuster herbeiführen zu können.

(Behrens)

Akteure

Die akteursorientierte Journalismusforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten mit einer Vielzahl von Themen beschäftigt: Berufsmotivation und Ausbildung, Qualifikationsanforderungen und Kompetenzen, berufliche Sozialisation und Professionalisierung, sozialer Status und Berufszufriedenheit, intramediäre und intermediäre Mobilität, berufsrelevante Einstellungen und journalistische Ethik, politische Einstellungen und Publikumsbilder, Abhängigkeiten und Entscheidungsprozesse, Rollenselbstverständnis und dessen Handlungsrelevanz.

Besonders intensiv analysiert wurde die Frage, welches berufliche Selbstverständnis Journalistinnen und Journalisten besitzen und wie handlungsrelevant dieses ist. Die diesbezüglichen Untersuchungen lassen sich dem analytischen Empirismus, dem legitimistischen Empirismus sowie den integrativen Sozialtheorien zuordnen.

Im systemtheoretischen Konzept besitzen individuelle Merkmale journalistischer Akteure freilich keine besondere Relevanz für die Beschreibung journalistischen Handelns. Trotz des Aufschwungs der Systemtheorie hat allerdings die Zahl empirischer Journalismusstudien, die forschungspraktisch ein individualistisches Journalismusverständnis zugrunde legen, keineswegs abgenommen. Nach wie vor geht es in den meisten empirischen Untersuchungen um die Merkmale, Einstellungen und Selbstbeschreibungen journalistischer Akteure. Quantitativ stellt dieses Themenfeld den wichtigsten Forschungszweig der empirischen Journalismusforschung dar.

Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: Ein systembezogenes Journalismusverständnis zu operationalisieren ist schwieriger, eine entsprechend angelegte Untersuchung durchzuführen aufwändiger. Ob das Problem gelöst werden kann, indem eine individuenzentrierte Empirie systemtheoretisch begründet wird, wird sogar von Systemtheoretikern skeptisch beurteilt. (Kommunikatorforschung Lernmodul 4: Akteure)

(Behrens)

Leistungen

Nach wie vor werden die Vorstellungen über das, was der Journalismus in der und für die Gesellschaft leistet, weniger von empirisch geprüften Einsichten als von normativen Ansprüchen geprägt. Diese Ansprüche werden vor allem im politischen und juristischen Diskurs formuliert. Wie beispielweise in den medienbezogenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Danach umfasst der Auftrag des öffentlichrechtlichen Rundfunks neben der Meinungs- und politischen Willensbildung, die kulturelle Information sowie die Unterhaltung.

Solchen pauschalen Aufgabenkatalogen stehen differenzierte empirische Studien gegenüber, in denen ermittelt wurde, welche journalistischen Produkte von welchen Rezipienten in welcher Weise mit welchen Konsequenzen tatsächlich genutzt werden.

Erst wenn die Ergebnisse kommunikationswissenschaftlicher Nutzungs- und Wirkungsforschung einbezogen werden, können die Leistungen des Journalismus umfassender bestimmt werden. Der Verstehens- und Aneignungsforschung kommt dabei besondere Relevanz zu, weil die Konsumenten journalistischer Angebote ihre Präferenzen im Medienbereich nur erschwert, oder im Falle der Vollfinanzierung aus Werbung, überhaupt nicht durchsetzen können.

Nicht nur seine Beziehungen zum Publikum prägen die Leistungen des Journalismus. Entscheidend sind darüber hinaus weitere Interrelationen, die von der Journalismusforschung – mehr oder minder gründlich – bisher analysiert worden sind. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem die Beziehungen des Journalismus zur Politik, zur Wirtschaft sowie zur Öffentlichkeitsarbeit.

Zu berücksichtigen ist deshalb eine Forschung, die nicht das Nutzungsverhalten, gemessen in Quoten, Reichweiten und Zeitaufwand, für den entscheidenden Indikator von Rezipientenpräferenzen hält, sondern die Schwierigkeiten der Rezipienten bei der Präferenzerkennung wie Formulierung in Bezug auf Medienprodukte in ihren Ansätzen zentral berücksichtigt. (Kommunikatorforschung Modul 5: Leistungen)

Anhand dieser Forschung ist es wichtig die Funktion von Journalismus zu verstehen und seine Entwicklung zu erkennen und zu begleiten. Die Sicht und das Verständnis der Rezipienten ist hierfür entscheidend und muss berücksichtigt werden. Nicht nur die intendierte Wirkung spielt eine Rolle, sondern vor allem die Wirkung die letztendlich beim Konsumenten eintritt.

(Behrens)

Cultural Studies

Im Unterschied zum soziokulturellen Konstruktivismus wird in anders abgeleiteten kulturwissenschaftlichen Überlegungen das System-Paradigma beiseite gelassen und versucht, von einer neuen Warte aus den Journalismus zu beschreiben. Eine neue Sichtweise bieten hierbei die so genannten Cultural Studies. (Kulturtheorien: Cultural Studies)

Die Cultural Studies gewinnen heutzutage immer mehr Bedeutung in Bezug auf die Journalismusforschung. Sie wird um diese Perspektive zusätzlich erweitert. Der Schwerpunkt bei den Cultural Studies liegt demnach in der kontextuellen Erforschung- und Veränderung des Verhältnisses von Kultur, Medien und Macht.

Hier wird Journalismus als kultureller Diskurs und Teil der Populärkultur verstanden. Journalismus stellt einen Bereich der Alltagskultur dar und dient als Spähre zur (Re-)Produktion von Bedeutung, Sinn und Bewusstsein.

Die Cultural Studies nehmen verstärkt die Rezipientenperspektive ein und betrachten Journalismus als Alltagsressource, die der sozialen Zirkulation von Bedeutung und Vergnügen dient. Die Beziehung zwischen der Produktion von Texten auf der einen und der produzierten Bedeutung beim Publikum auf der anderen Seiten stehen im Fokus. Es sollen die Bedeutungspraktiken aus Sicht des Publikums analysiert werden. Daher tendiert der Cultural Studies Approach eher zu einem Ansatz der journalistischen Wirkungsforschung.

Grundlegend bleibt zu beachten, dass die Cultural Studies aufgrund ihrer vielfältigen Wurzeln und der Offenheit des Konzeptes keinen geschlossenen Theorieansatz liefern.

Ob sich dieses Theoriekonzept in der Journalismusforschung durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Der Kulturbegriff, der bis dato in der Kommunikationswissenschaft eher stiefmütterlich vernachlässigt wurde, wird für eine journalismusbezogenen Theoriebildung immer relevanter. Aufgrund der Globalisierung des Wirtschaftssystems entwickeln sich transnationale Kulturen, welche die Produktionszusammenhänge in Medienkonzernen zunehmend prägen und verändern. Grenzen werden überschritten. Der Kulturbegriff wird immer wichtiger. Die Wahrnehmung kultureller Unterschiede wird dadurch geschärft.

(Behrens)

Die zukünftige Bedeutung und Beobachtung von Online-Journalismus

Die Bedingungen und Konsequenzen des Online-Journalismus stehen gegenwärtig im Mittelpunkt der empirischen Journalismusforschung.

Nicht nur für die berufliche Praxis, auch für die Theoriebildung bedeutet der netzbasierte Journalismus eine enorme Herausforderung. Das Internet ermöglicht die massenhafte Distribution von Informationen, ohne im klassischen Sinn ein Massenmedium zu sein. Das Internet ermöglicht die Verknüpfung von Massen- und Individualkommunikation. Es findet eine Demokratisierung der Informationsdistribution statt. Individuelle Anbieter treten ab sofort mit kapitalstarken, professionalisierten Organisationen in Konkurrenz.

Das Internet ermöglicht die bewusste Auswahl vielfältigster Informationen, setzt diese aber gleichzeitig voraus. Angesichts dieser Veränderungen erscheint eine schlichte Übertragung bisheriger Theoriebestände auf den Netz-Journalismus als wenig einleuchtend. Erst mit der Weiterführung der Journalismustheorie über die Denkfigur der „Massenmedien“ hinaus kann der netzbasierte Journalismus angemessener analysiert werden. (vgl. Quandt 2000)

International vergleichende Journalistenforschung

Insgesamt hat die international vergleichende Journalistenforschung, eingeleitet von Renate Köchers Pionierstudie (1985), in den letzten Jahren an Relevanz gewonnen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel das Projekt „Media and Democracy“ unter der Leitung von Thomas E. Patterson und Wolfgang Donsbach, in dem berufliche Einstellungen und redaktionelle Strukturen am Beispiel von 5 Ländern untersucht wurden. Obgleich es sich keineswegs um eine für den gesamten Journalismus repräsentative Studie handelt, sieht Donsbach (Mainzer Schule) seine Annahme erneut bestätigt, dass deutsche Journalisten einen missionarischen Stil der Berichterstattung pflegen und nicht durch redaktionelle Kontrolle korrigiert werden. (Ilias: Journalismusforschung Modul IV) In meinen Augen ist das ein erschreckender Befund. (Reers)


Literaturliste Journalismusforschung

Baumert, Dieter Paul. (1928) Die Entstehung des deutschen Journalismus. Eine sozialgeschichtliche Studie. München, Leipzig: Duncker & Humblot.

Bucher, Hans-Jürgen. (1998) Journalismus. In: Ueding, Gert (Hrsg.). Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Tübingen: Niemeyer Verlag. 729-741.

Donsbach, Wolfgang. (1982) Legitimationsprobleme des Journalimus. Gesellschaftliche Rolle der Massenmedien und berufliche Einstellungen von Journalisten. Freiburg, München: Karl Alber.

Dovifat, Emil. (1968) Die publizistische Persönlichkeit. In: Handbuch der Publizistik, Bd.1. Berlin, New York: de Gruyter.

Hoffjann, Olaf ((2001) Journalismus und Public Relations. Ein Theorieentwurf der intersystembeziehungen in sozialen Konflikten. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. 16-37.

Kleinsteuber, Hans J./Pörksen, Bernhard (Hg.)/Weischenberg, siegfried (2005) Handbuch Journalismus und Medien. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH.

Kleist, Heinrich von.(um 1809) Einleitung zum Lehrbuch der Französischen Journalistik. Im: Wochenblatt Germania.

Löffelholz, Martin. (2004) Theorien des Journalismus. Eine historische, metatheoretische und synoptische Einführung. In: Löffelholz, Martin (Hrsg.) Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2.Auflage. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. 17-63.

Lünenborg, Margreth (2005) Journalismus als kultureller Prozess. Zur Bedeutung von Journalismus in der Mediengesellschaft. Ein entwurf. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Luhmann, Niklas (1996) Die Realtität der Massenmedien. (2. erw. Aufl. ed.). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Malik, Maja (2004) Journalismus-Journalismus. Funktion, strukturen und strategien der journalistischen Selbstthematisierung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Raabe, Johannes. (2005) Die Beobachtung journalistischer Akteure. Optionen einer empirisch-kritischen Journalismusforschung. Wiesbaden: VS-Verlag.

White, David Manning. (1950) The Gatekeeper. A case study in the selection of news. IN: Journalism Quarterly, Vol. 27, 383-390.

Linkliste Journalismusforschung

ILIAS

= e-Learning-Plattform Ilias, open source. Kommunikatorforschung Lernmodul 4. Akteure.

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